150618 plenum

Rede von Beate Walter-Rosenheimer zum Antrag der Koalition "Internationalen Jugend- und Schüleraustausch als Fundament in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik verankern"

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

internationaler Jugend- und Schüleraustausch ist ein Thema, bei dem sich wahrscheinlich alle Fraktionen hier im Bundestag mehr oder weniger einig sind: Wir brauchen ihn und wir wollen ihn stärken. Umso mehr bin ich irritiert, dass dieser Koalitionsantrag nun "holterdiepolter" und ohne ordentliche Beratung in den Ausschüssen ins Plenum kommt und sofort abgestimmt werden soll.

Wir debattieren hier nicht über einen politischen Notfall. Es kommt bei der Entscheidung nicht auf jede Minute an. Nein. Es geht um internationalen Jugendaustausch. Den wollen wir schon lange stärken. Das hätten wir ohne Probleme auch gemeinsam in den Ausschüssen hinbekommen. Mit dieser unnötigen Sofortabstimmung bekleckert sich die Koalition in unseren Augen nicht mit Ruhm. Wir dürfen schon mal nachfragen: Um was geht es Ihnen hier heute eigentlich?

Die Inhalte des Antrags unterstützen wir in großen Teilen. Auch wir wollen Jugend- und Schüleraustauschprogramme stärken und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass einmal gewonnene Erfahrungen und Kontakte nicht verloren gehen. Die Stärkung einer Alumni-Kultur ist da eine gute Sache.

Aber wir sagen klar: Für uns Grüne ist Jugendaustausch keine einseitige Veranstaltung. Wir wollen nicht einfach nur junge Deutsche ins Ausland schicken. Wir wollen ganz gezielt auch, dass junge Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland kommen. Wertevermittlung muss eine große Rolle spielen. Wir wollen einen Austausch zu fundamentalen Säulen unserer Kultur wie Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte. Dazu müssen junge Menschen zusammenkommen, miteinander auf Augenhöhe reden und im besten Fall auch mal den Alltag der jeweils anderen kennenlernen. 

Die im Antrag der Koalition angesprochenen Visumserleichterungen sind ein Kernstück grüner Forderungen seit Jahren. Wir müssen dafür sorgen, dass Teilnehmende in Jugendaustauschprogrammen nicht vor riesigen bürokratischen Hürden stehen und ein tolles Vorhaben des internationalen Dialoges an der Verzögerung von Visumsentscheidungen scheitert. Das ist natürlich nicht nur ein Problem in Deutschland. Aber hier können wir aktiv werden und mit gutem Beispiel vorangehen. Wir sollten die deutschen Behörden darauf einstellen, den Zugang zu Visa für Jugendliche aus anderen Ländern zum Zwecke des Austausches so leicht wie möglich zu gestalten.

Der Antrag der Koalition wäre also kein schlechter Aufschlag, wenn wir ihn gemeinsam hätten beraten, aber vor allem auch weiterentwickeln können.

Ein Beispiel: Die Koalition fordert in ihrem Antrag, neue Austauschprogramme mit den Ländern Südosteuropas innerhalb und außerhalb der EU zu initiieren. Diesen Vorschlag können wir Grüne unterstützen. Und ich möchte darüber hinausgehen. Wir brauchen im Sinne der europäischen Einigung auch mehr Austausch mit den Ländern Osteuropas. Ich war an den vergangenen beiden Wochenenden in der Ukraine und in Polen, um in den Hauptstätten Kiew und Warschau die Demonstrationen für gleiche Rechte von Lesben, Schwulen und anderen sexuellen Minderheiten zu unterstützen und die politischen Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort kennenzulernen. Ich kann Ihnen sagen: Die Stimmung besonders in Kiew war mehr als aufgeheizt. Grund war eine große Gruppe teilweise gewaltbereiter Gegendemonstranten und Neonazis, die alles rund um das Thema Homosexualität als Teufelszeug und westliche Propaganda und europäischen Sittenverfall darstellen.

Dem gegenüber gab es glücklicherweise vor Ort auch eine Menge aufgeschlossener Leute, die die Werte von Menschenrechten, Minderheitenrechten und Demokratie teilen. Ich habe viel diskutiert, auch sehr viel mit jungen Menschen - mit den Vertreterinnen und Vertretern einer neuen Generation, die unsere liberalen Werte teilen. Sie haben ein riesiges Interesse daran zu erfahren, wie in Deutschland demokratische, transparente und die Grundrechte schützende Politik gemacht wird und Zivilgesellschaft, Kultur und Wirtschaft funktionieren. Sie sollten noch viel mehr die Möglichkeit haben, im Rahmen von Jugendaustauschprogrammen problemlos nach Deutschland zu kommen.

Aber auch junge Menschen hierzulande können und sollten eine Menge lernen und ihren Horizont erweitern. Darum ist es genauso wichtig, dass junge Deutsche u.a. nach Osteuropa gehen, die jeweilige Sprache lernen und verstehen, wie die Gesellschaften funktionieren, wie Menschen dort leben und welche Werte sie teilen. Gerade vor dem Hintergrund wachsender internationaler Spannungen muss es für uns heißen: Mehr Verständigung bringt mehr Verständnis!

Besonders für die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Austausch so wichtig. Sie werden die politische Zukunft Europas für die nächsten Jahrzehnte prägen, wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon lange nichts mehr zu melden haben. Wir können aber schon heute positiven Einfluss nehmen und die Weichen dafür stellen, indem wir internationalem Jugendaustausch in Europa und weltweit einen besonderen Platz einräumen. Daran sollten wir gemeinsam denken, dafür müssen wir gemeinsam arbeiten.

Leider stellen Sie von der Koalition ganz wesentliche Punkte Ihres Antrags unter den Vorbehalt der verfügbaren Haushaltsmittel, verraten aber in keiner Silbe, um wieviel Geld es sich genau handeln wird. Wieviel Unterstützung soll es denn wirklich für die Erweiterung des internationalen Schüler- und Jugendaustausches geben? Kein Wort von Ihnen. Ich hoffe im Sinne des internationalen Jugendaustausches sehr, dass es sich hier nicht nur um einen Alibi-Antrag handelt. Schöne Formulierungen allein reichen nämlich nicht, wenn gute Programme wegen Geldmangels letztendlich doch nicht zu Stande kommen. Erwarten Sie wirklich, dass wir da zustimmen? Ich muss sie leider enttäuschen. Eine Debatte in den Ausschüssen hätte auch in Fragen der Finanzierung für Klarheit sorgen können. Das wollen Sie anscheinend nicht. Darum können wir diesem in der Sache begrüßenswerten Antrag nicht zustimmen und enthalten uns.