Der Beginn dieser jetzt zur Neige gehenden Legislatur war für mich persönlich eine Zeit des Abschieds und der Trauer. Während die Regierungsbildung sich dahin zog, wir uns in der Fraktion einrichteten, Themen und Sprecher*innen und unseren neuen Fraktionsvorstand wählten, erkrankte eine meiner liebsten Freundinnen aus Kindertagen schwer und starb Anfang 2018. Wenige Monate später musste mich von einem mir sehr lieben langjährigen ehemals grünen Wegbegleiter und Freund verabschieden.

Meine Mutter wurde zusehends von ihrer Erkrankung aufgezehrt und auch sie musste ich schließlich wenige Wochen später gehen lassen. Die letzten Wochen hab ich sie gepflegt. Ich konnte bei ihr sitzen, ihr die wenigen Wünsche, die sie noch hatte, erfüllen, ihre Hand halten, mit ihr lachen. Ja, auch Sterbende lachen gern, freuen sich über gute Stimmung und es kann eine bereichernde Zeit für alle sein. Wenn die Schmerzen im Griff sind durch gute medizinische Versorgung.


Von all diesen lieben und mir wichtigen Menschen konnte ich mich verabschieden, sie ein letztes Mal in den Arm nehmen, für sie da sein und ihnen hoffentlich sogar ein bisschen ihrer Angst nehmen. Nach den schmerzlichen Abschieden konnte ich aber auch meine eigene Trauerarbeit beginnen, um schließlich weiter leben und nach vorn sehen zu können. Um für und mit denen da zu sein, die noch bei mir sind und um mein Mandat auszufüllen und wieder Kraft zu schöpfen.

Ein würdiges Sterben am Ende einer Krankheit oder am Ende eines langen Lebens sollte eben nicht nur (palliativ)medizinisch begleitet sein, sondern auch die Möglichkeit zum bewussten Abschied und für letzte Worte, eine Aussprache über unverarbeitete Dinge, eine Versöhnung, eine letzte Umarmung, ein letztes Handhalten geben. Für die Sterbenden und für die, die sie fortan vermissen müssen.

Corona zwingt uns auch bei diesem sensiblen Thema zu Kompromissen, die emotional eigentlich nicht zu ertragen sind. Die letzten Worte am Telefon oder übers Tablet, keine letzte Umarmung. Mit der Angst allein. Die Pflegekräfte und das ganze medizinische Personal tun, was sie können und oft viel mehr als sie verkraften. Zurück bleiben Familien und Freund*innen, denen die Chance auf eine Verabschiedung, die gute Trauerarbeit möglich macht, versagt bleibt.

Eine gute und den Menschen zugewandte Pandemie-Politik muss endlich auch die Einsamen und Ausgebrannten in den Blick nehmen und Betroffenen den Raum geben, sich den Fragen und Ängsten zu stellen. Das ist eine dringende Forderung von mir als klinische Psychologin und als Politikerin.

Auch nach einer erfolgreichen Impfkampagne, wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen haben, dürfen wir die nicht vergessen, die nicht einfach mit einem Kneipenbesuch oder einer Urlaubsreise in ihren Alltag zurückfinden. Die vielen Verstorbenen hinterlassen noch mehr Trauernde, manche sind durch die Art des Abschieds regelrecht traumatisiert. Sie kauen schwer an ihrer Trauer und manche machen sich sogar Vorwürfe, dass sie nicht genug gekämpft haben, um ans Krankenbett zu dürfen. Ihnen müssen wir uns nachhaltig zuwenden.

Sterben, Tod und Trauer sind nach wie vor Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Auch in dieser Pandemie. Als klinische Psychologin, als Politikerin und als Tochter, Freundin, Lebensgefährtin, Mutter will ich mich dafür auch im nächsten Bundestag einsetzen: Das Thema Krankheit, Sterben und Tod enttabuisieren! Pflege schwer kranker Angehöriger oder Freund*innen, Sterbebegleitung, würdevolles Sterben, angemessene Zeit für Trauer in einer schnellebigen Welt ermöglichen. Mit Zeit und Geld für pflegende Angehörige und der nötigen Portion Respekt, für das, was viele Menschen in unserer Gesellschaft in diesem Bereich leisten. Ehrenamtlich und öffentlich oder unbemerkt und zuhause.

bwr